Großmaul, Zuhälter, Erfinder des Jazz, erster Popstar mit Diamanten als Wertanlage im Mund? Vermutlich vieles davon, vor allem aber war der Kreole Jelly Roll Morton (1885/90–1940) ein wirklich begabter Musiker und Geschichtenerzähler, der, weil er von Alan Lomax am Ende seines Lebens ausgiebig befragt wurde (Library of Congress Recordings), auch Zeugnis ablegen konnte von der magischen und nicht akustisch dokumentierten Zeit, als
Ragtime in den Red Light Districts von New Orleans zum Jazz wurde. Heute wirkt New Orleans Jazz antiquiert, vor allem weil wir ihn mit dem Jazz-Frühschoppen (bärtige alte Männer mit sonderbaren Instrumenten) assoziieren. Aber während diese schmutzige Musik vor 90 Jahren live gespielt wurde, fanden schwarze Männer und Frauen tanzend zueinander, und sie war es auch, woraus sich unter anderem die Angeberei des Hip Hop entwickelte. Jelly Roll Morton war Autodidakt, aber auch der erste, der diese Musik komplex aufnehmen konnte. Er handelte mit den Brüdern Melrose in Chicago 1926 Bedingungen aus, so dass er mit seinen Musikern auch bezahlte Proben hatte, bevor er den Kram einspielte. Zwar wurde er hinsichtlich der Komplexität des Materials von klassisch ausgebildeten Tonsetzern wie
Fletcher Henderson und
Duke Ellington zu Beginn der 1930er Jahre überholt, aber was den schieren Überschwang seiner schon komplex orchestrierten Musik anbelangt, sucht er weiter seinesgleichen. Noch kurz vor seinem Tod gelangen ihm frisch und frech klingende Einspielungen in einem Genre, das eigentlich schon seit einem Jahrzehnt überholt war: 'Don't You Leave Me Here', 'Dirty, Dirty, Dirty' und nomen est omen: 'Good Old New York'.